Das Staatsgebiet des Fürstentums Reuß ältere Linie oder Reuß-Greiz liegt in Mitteldeutschland. Es besteht aus den zwei getrennt voneinander liegenden Landesteilen Greiz und Burgk sowie den Exklaven Neudörfel im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, Rauschengesees im Fürstentum Schwarzburg-Rudolstadt, Mehla (zwischen Reuß-Schleiz, Kondominat Fürstentum Gera und Sachsen-Weimar-Eisenach) und Zeulenroda (zwischen Reuß-Schleiz, Kondominat Fürstentum Gera, Königreich Sachsen und Sachsen-Weimar-Eisenach). Der westliche Landesteil Burgk grenzt an Sachsen-Weimar-Eisenach, Reuß-Schleiz, Kondominat Fürstentum Gera, Fürstentum Reuß-Lobenstein und Fürstentum Reuß-Ebersdorf sowie den preußischen exklavierten Kreis Ziegenrück. Der östliche Landesteil Greiz grenzt an Sachsen-Weimar-Eisenach, Kondominat Fürstentum Gera, Sachsen und Reuß-Schleiz. Hauptstadt und Regierungssitz ist Greiz, wo sich auch die Residenz, das Untergreizer Schloss, befindet. In Burgk gibt es ein Jagdschloss.
Für das Fürstentum Reuß-Greiz wird 1820 eine Fläche von 6,8 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 331km².Das in Thüringen gelegene Fürstentum ist sehr gebirgig und wird von einem Teil des Vogtländischen Mittelgebirges durchzogen. Der Landesteil Burgk liegt im Thüringer Schiefergebirge. 35% des Landes sind bewaldet. Hauptgewässer sind die Weiße Elster mit der Göltzsch im Greizer Landesteil sowie die Saale im Landesteil Burgk. Das Klima ist gemäßigt.
Reuß-Greiz führt seinen Namen nach der 1209 erstmals urkundlich erwähnten Burg Greiz an der Weißen Elster die den Vögten von Weida unterstand. Bei der Aufspaltung des Vogtlandes in die Linien Weida, Gera und Plauen im Jahre 1244 fiel Greiz an die Vögte von Plauen. Im Jahr 1306 spaltete sich das Haus Plauen in die Zweige Plauen zu Plauen und Reuß von Plauen zu Greiz. Der Begründer dieser Linie, Henricus Ruthenus (Heinrich Reuß, gest. vor 1295), hatte eine Enkelin des 1253 zum König der Rus gekrönten Daniel von Galizien (1215-1264) geheiratet und trug deshalb den Beinamen "der Ruthene" (dt. der Reuße). Von 1453 bis 1615 gehörte die Herrschaft Oberkranichfeld den Herren Reuß von Plauen, die seit 1561 die Kraniche im Wappen trugen.
Nach der Teilnahme am Schmalkaldischen Krieg 1546/47 wurden die Greizer Besitzungen vom Kaiser eingezogen und dem Burggrafen von Meißen übergeben. Lediglich die Herrschaft Oberkranichfeld verblieb zunächst im Besitz des Hauses. Nach erfolgreicher Klage beim Oberhofgericht in Wien 1560 wurde den Reußen ihr Stammland Greiz sowie das Erbe der Herren Gera wieder zugesprochen. 1564 teilten die Reußen ihre Besitzungen in die ältere Linie (Untergreiz), die mittlere Linie (Obergreiz) und die jüngere Linie ( Reuß-Gera ), wobei die mittlere Linie nur bis 1616 Bestand hatte.
Die ältere Linie teilte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten immer weiter. Auf diese Weise entstanden Abzweigungen in Obergreiz, Untergreiz, Burgk, Dölau und Rothenthal. 1673 wurden alle Linien des Hauses Reuß in den Grafenstand erhoben. 1768 vereinigte Heinrich XI. zu Greiz (1722-1800) wieder sämtliche Gebiete der älteren Linie in seiner Hand. 1778 wurde er in den Reichsfürstenstand erhoben und nannte sein Staatsgebiet nun Fürstentum Reuß ältere Linie. 1807 trat Reuß ältere Linie gemeinsam mit den anderen reußischen Fürstentümern dem Rheinbund bei.
Das Fürstentum Reuß-Greiz ist eine Monarchie. Die regierenden Fürsten stammen aus der älteren Linie des Hauses Reuß. Seit dem 12. Jahrhundert nennen sich alle männlichen Mitglieder des Hauses Reuß Heinrich. Mit dem Geschlechtsvertrag von 1668 ist festgelegt, dass die ältere Linie bis Hundert zählt und dann wieder von vorne beginnt, während die jüngere Linie jedes Jahrhundert neu zu beginnen hat. In direkter Folge regieren Heinrich XIII. (reg. 1800-1817) und Heinrich XIX. (reg. 1817-1836). Es folgen dessen Bruder Heinrich XX. (reg. 1836-1859) und sein Sohn Heinrich XXII. (reg. 1859/67-1902). Bis zu seiner Volljährigkeit 1867 übernimmt seine Mutter Karoline (1819-1872), eine geborene Prinzessin von Hessen-Homburg, die Vormundschaft und Landesregierung. Von 1902 bis 1908 üben Heinrich XIV. (1842-1913) und von 1908 bis 1918 Heinrich XXVII. (1858-1928) aus dem Fürstentum Reuß jüngere Linie die Regentschaft für den regierungsunfähigen Heinrich XXIV. (1878-1927) aus. Die Landstände des Fürstentums Reuß-Greiz setzen sich aus drei ritterschaftlichen und vier städtischen Deputierten zusammen. Sie haben beratende Funktion hinsichtlich der Gesetzgebung und der Steuerbewilligung.
Als letzter thüringischer Staat wird das Fürstentum Reuß ältere Linie 1867 konstitutionelle Monarchie. Die Verfassung vom 28. März 1867 belässt die oberste Regierungsgewalt beim Fürsten. Der Landtag besteht aus zwölf Abgeordneten: Drei Vertreter werden vom Landesherrn ernannt, zwei von den Rittergutsbesitzern und größten Bauern bestimmt und die drei Abgeordneten der Städte und vier Abgeordneten der Landgemeinden nach indirektem Verfahren gewählt. Mit dem Ziel, der erstarkenden Sozialdemokratie in Reuß-Greiz entgegenzuwirken, verabschiedet der Landtag im Mai 1913 ein neues Wahlgesetz, nach dem die Zahl der Sitze im Landtag von 12 auf 15 erhöht wird, diese drei zusätzlichen Sitze aber den beiden Bürgermeistern von Greiz und Zeulenroda und einem von den Landbürgermeistern zu wählenden Abgeordneten vorbehalten sind. Diese Wahlrechtsänderung kommt allerdings nicht mehr zum Tragen, da vor 1918 keine Neuwahl des Landtags stattfindet.
Das Fürstentum Reuß-Greiz verfügt nicht über Mittelbehörden. An Unterbehörden bestehen seit 1815 die Ämter Obergreiz und Untergreiz - beide mit Sitz in Greiz - sowie Dölau, Burgk und das Fürstliche Stadtvogteigericht Zeulenroda. Im Jahre 1855 werden die Ämter Obergreiz, Untergreiz und Dölau zum Justizamt Greiz zusammengeschlossen. Die Trennung von Verwaltung und Justiz erfolgt 1868. Gleichzeitig wird für das gesamte Reuß-Greizer Staatsgebiet ein Landratsamt mit Sitz in Greiz eingerichtet. Das Justizamt Burgk erhält landsratsamtliche Befugnisse. Mit den anderen reußischen Fürstentümern sowie den Häusern der sächsisch-ernestinischen Linie ist die Reuß-Greizer Justiz seit 1820 dem Ober-Appellationsgericht in Jena unterstellt.
Nach amtlicher Zählung von 1816 hat das Fürstentum Reuß ältere Linie 23.023 Einwohner. Bis 1852 nimmt die Bevölkerungszahl um 65% auf 37.896 zu. Von 1852 bis 1905 verdoppelt sich die Einwohnerzahl auf 70.603. 1852 leben 38% der Einwohner in den beiden Städten Greiz und Zeulenroda; 1905 sind es bereits 47%. Im Jahre 1833 hat die Hauptstadt Greiz 5.631 Einwohner. 1905 liegt die Einwohnerzahl mit 23.118 viermal so hoch. Die Bevölkerung des Fürstentums gehört fast ausschließlich der evangelisch-lutherischen Glaubensrichtung an. Für Reuß ältere Linie und Reuß jüngere Linie gemeinsam werden für das Jahr 1905 rund 97% evangelischer, 1,8% katholischer und 0,1% jüdischer Glaubensrichtung angegeben. Vergleichszahlen um die Jahrhundertmitte liegen nicht vor, da in den reußischen Fürstentümern die Bevölkerungszahlen seinerzeit noch nicht getrennt nach Konfessionen erhoben wurden.
Haupterwerbszweig in der Landwirtschaft ist im Fürstentum Reuß ältere Linie die Forstwirtschaft. Rund 35 Prozent des Gebietes sind bewaldet und bestehen zu 97 Prozent aus Nadelholz. Wie im Fürstentum Reuß jüngere Linie bieten in dem ansonsten sehr gebirgigen und eher kargen Land einzig die fruchtbaren Täler günstige Voraussetzungen für den Ackerbau. Angebaut werden vornehmlich Weizen, Roggen, Sommergerste, Hafer, Kartoffeln und Klee. Obst wird hauptsächlich in Hausgärten gezogen. Im südlichen Oberland wird zudem Flachs angebaut. Hinsichtlich der Viehzucht werden vor allem Rinder und Schweine gezüchtet. Der Bestand an Pferden und Schafen ist verhältnismäßig gering.
Neben der Eisenerzförderung mit einem Höchstwert von 720t im Jahre 1880 konzentriert sich der Bergbau auf Blei, Kupfer, etwas Silber, Kobalt, Vitriol und Alaun.
Als letzter thüringischer Staat führt Reuß ältere Linie 1868 die Gewerbefreiheit ein. Die Industrieentwicklung verläuft in der zweiten Jahrhunderthälfte rasant. Im Jahr 1895 erreicht der Anteil der Industriebevölkerung an der Zahl der Erwerbstätigen der Fürstentümer Reuß ältere Linie und Reuß jüngere Linie mit 68 Prozent einen außerordentlich hohen Wert. In Sachsen liegt der Anteil zu diesem Zeitpunkt etwa bei 50 und deutschlandweit bei 39 Prozent. Wichtigste Industriezweige im Fürstentum sind die Wollwarenindustrie in Greiz und den umliegenden Ortschaften sowie die Strumpfwarenindustrie in Zeulenroda. Das größte Unternehmen ist die 1837 gegründete Greizer Textilfirma "Friedrich Arnold". In Greiz und Umgebung gibt es um 1905 rund 11.000 mechanische Webstühle, in Zeulenroda circa 700 Wirkstühle und im ganzen Fürstentum an die 100 Stickmaschinen. In Kooperation mit Gera entsteht 1890 das Kartell der Gera-Greizer-Kammgarnspinnerei AG mit dem Markenartikel Gera-Greizer-(Stoff)Waren. Die in Greiz angesiedelten Maschinenbaufabriken und Gießereien produzieren für den Bedarf der Textilindustrie und finden darüber hinaus deutschlandweit Absatz. Die Greizer Papiermühle entwickelt sich als größte Papierfabrik Thüringens zu einem regionalen Marktführer. In Zeulenroda sind ebenfalls Maschinenbaufabriken und eine Seifensiederei angesiedelt. Die Stahlproduktion des Fürstentums Reuß ältere Linie steigert die Förderung von 119t im Jahre 1860 im Verlauf des 19. Jahrhunderts nicht mehr. Ähnlich sieht es in der Roheisenproduktion aus, die den Höchstwert von 236t im selben Jahr ebenfalls nicht steigern kann.
Die im Fürstentum angesiedelte Textilindustrie verfügt über ein ausgedehntes internationales Handelsnetz. Neben den Textilien sind die wichtigsten Ausfuhrartikel der reußischen Fürstentümer Holz, Rinder, Butter, Eisen, Maschinen, Leder, Musikinstrumente und Porzellan. Eingeführt werden vor allem Stein- und Braunkohle, wollene Garne, Getreide, Obst, Leinsamen, Talg, rohe Häute, Glas und Kolonialwaren.
In den reußischen Fürstentümern wird bis Ende 1840 nach Talern zu 24 Groschen à 12 Pfennigen, ab 1841 nach Talern zu 30 Groschen à 12 Pfennigen gerechnet. Längenmaß ist der Fuß, Flächenmaß ist der Scheffel, Handelsgewicht ist das Leipziger Pfund.
Der Aufbau des thüringischen Chausseenetzes ist um 1860 im Wesentlichen abgeschlossen. Bis zur Jahrhundertwende sind auch die örtlichen Verbindungswege angelegt.
1865 ist eine erste Bahnverbindung von Greiz nach Brunn fertiggestellt, das an der Strecke Leipzig-Hof liegt. Die Bahnverbindung mit dem Königreich Sachsen ist 1876 mit der Verbindung Wolfsgefährt bei Gera-Greiz-Plauen und 1883 mit der Strecke Weida-Zeulenroda-Mehltheuer gewährleistet. Teilweise wird der Bahnbau direkt durch den regierenden Fürsten blockiert. So greift Heinrich XXII. (1846-1902) persönlich in die Konzeption der Strecke Greiz-Plauen 1869/72 ein, als deutlich wird, dass der geplante Verlauf dieser Strecke auch Teile des Schlossbergs betreffen würde. Erst nach vielen Änderungsplänen, die schließlich eine Untertunnelung des Schlossbergs herbeiführen, stimmt der Fürst dem Bau zu, der allerdings allein auf Kosten der Bürgerschaft, ohne staatliche Zuschüsse erfolgt. 1913 beträgt das Eisenbahnnetz des Fürstentums Reuß ältere Linie 43,3km für normalspurige Eisenbahnen. Seit den Erwerbungen von 1881 und 1895 befinden sich die meisten Eisenbahnstrecken im Besitz des preußischen Staates.
Im Fürstentum Reuß ältere Linie scheitert 1876 der Entwurf eines Volksschulgesetzes letztendlich daran, dass der Landtag einem von Fürst Heinrich XXII. geforderten "im Schulfach bewanderten Theologen" als Landesschulinspektor nicht zustimmt. Da es zu keinem weiteren Versuch kommt, ein Volksschulgesetz zu verabschieden, bleibt es bei einem unübersichtlichen Zustand des Schulwesens in Reuß-Greiz. Zudem bleibt die Abhängigkeit von der Landeskirche bestehen, da das Schulwesen nicht nur in der oberen Instanz dem Konsistorium unterstellt, sondern auch in der Oberschulaufsicht von den kirchlichen Organen abhängig ist. Neben den Volksschulen bestehen in Greiz ein Gymnasium mit Realschule, ein Schullehrerseminar und eine Webschule und in Zeulenroda eine Realschule mit Progymnasium. Da Greiz die einzige thüringische Residenzstadt ohne Hoftheater ist, versucht das Bürgertum das Theaterwesen durch einen Verein zu beleben und baut 1874 das Tivoli-Theater, das als Gastspiel- und Laienbühne genutzt wird.
Bei den Verhandlungen zur Gründung des Deutschen Bundes auf dem Wiener Kongress werden alle vier Reußischen Fürstentümer gemeinsam von Vizekanzler Georg Walther Vincenz von Wiese (1769-1824) vertreten. Seit 1815 ist das Fürstentum Reuß-Greiz Mitglied des Deutschen Bundes und führt im Plenum der Bundesversammlung (Bundestag) als Vertreter des Hauses Reuß ältere Linie eine eigene Stimme. Im "Engeren Rat" teilt es sich hingegen eine Stimme mit den Fürstentümern Hohenzollern-Hechingen, Hohenzollern-Sigmaringen, Waldeck, Reuß-Schleiz, Reuß-Ebersdorf, Reuß-Lobenstein, Liechtenstein, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe und ab 1842 Hessen-Homburg.
Im Jahre 1828 wird Reuß-Greiz Mitglied des Mitteldeutschen Handelsvereins, 1833 schließt es sich dem Thüringischen Zoll- und Handelsverein an und wird über diesen 1834 Gründungsmitglied des Deutschen Zollvereins. Im Deutschen Krieg 1866 steht Reuß-Greiz zunächst gegen Preußen und muss am 26. September 1866 einem Friedensschluss zustimmen: Nach Zahlung von 100.000 Talern Kriegsstrafe tritt das Fürstentum 1867 dem Norddeutschen Bund bei und gibt die Militärhoheit an Preußen ab. 1871 wird Reuß-Greiz Bundesstaat des Deutschen Reichs. Im Bundesrat besitzt das Fürstentum eine Stimme und ist im Reichstag durch einen Abgeordneten vertreten.
Als in Greiz am 10. November 1918 die Abdankung des Kaisers bekannt wird, fordern Demonstranten die Abschaffung der Monarchie, den Rücktritt der Regierung, die Einsetzung eines Arbeiterrates und die Umwandlung des Landes in eine sozialistische Republik. Am 11. November 1918 bildet sich unterstützt durch die Räte in Reuß jüngere Linie auch in Reuß-Greiz ein Arbeiter- und Soldatenrat. Heinrich XXVII. Reuß Jüngere Linie (1892-1918) dankt nun auch für Reuß-Greiz ab. Der am 17. April 1919 aus beiden reußischen Staaten gebildete Volksstaat geht mit Inkrafttreten des Gemeinschaftsvertrags am 4. Januar 1920 im neugeschaffenen Land Thüringen mit der Hauptstadt Weimar auf.
Heute ist der "Landkreis Greiz" einer der 23 Landkreise und kreisfreien Städte des Bundeslandes Thüringen. Mit einer Fläche von 844km² ist der Landkreis mehr als doppelt so groß wie das historische Fürstentum und umfasst neben dem ehemaligen Reuß-Greiz auch die Gebiete um Weida, die zu Sachsen-Weimar-Eisenach gehörten.
Im Untergreizer Schloss wird 1929 das Heimatmuseum eröffnet, welches in historischen Innenräumen die Geschichte des Hauses Reuß ältere Linie in Verbindung mit der Entwicklung der Stadt Greiz erläutert. Im Obergreizer Schloss befindet sich das Staatsarchiv. Das "Museum Schloss Burgk" präsentiert in den historischen Räumen herrschaftliche Kunst- und Gebrauchsgegenstände.
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