Das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) ist ein Schweizer Kanton, der in Personalunion mit der preußischen Monarchie verbunden ist. Das Fürstentum gehört nicht zum Deutschen Bund und liegt im Westen der Schweiz an der Grenze zu Frankreich. Es besteht aus dem eigentlichen Fürstentum Neuenburg sowie der Grafschaft Valangin und bildet ein geschlossenes Staatsgebiet. Haupt- und Residenzstadt sowie Regierungssitz ist Neuenburg. 1857 verzichtet der preußische König auf seine Rechte an Neuenburg.
Für das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) wird 1820 eine Fläche von 14,7 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 840km². Der Kanton erstreckt sich quer über das Schweizer Juragebirge von der schmalen Küstenebene am Neuenburger See bis zur tiefen Talfurche des Doubs und zerfällt vom See aus in drei Regionen: le Vignoble (Weingegend), les Vallées (die Hochtäler Val de Travers und Val de Ruz) und les Montagnes (Gebirgsgegend). Die höchsten Orte sind Le Locle (925m), La Chaux-de-Fonds (992m), La Sagne (1043m) und La Brévine (1046m). Die höchste Erhebung des Jura ist der 1465m hohe Creux du Van. Die Gebirge, welche aus dem an Versteinerungen reichen grauen Jurakalk bestehen, haben viele Höhlen. Hinsichtlich seiner Bewässerung gehört Neuenburg überwiegend zum Gebiet der Thièle (Neuenburger See, Areuse und Seyon) und im Nordwesten zum Gebiet des Doubs. Den Höhenabstufungen entsprechend zeigen sich große klimatische Unterschiede hinsichtlich Temperatur und Niederschlag.
Archäologische Funde im Neuenburger Vorort La Tène belegen, dass das Gebiet bereits in der Eisenzeit, namentlich der "La-Tène-Zeit" (5.-1. Jahrhundert v. Chr.), von keltischen Stämmen besiedelt war. An der Stelle einer älteren Grafenburg wurde 1011 die namengebende "Neue Burg" (novum castellum) errichtet. Das seit dem 9. Jahrhundert unter burgundischer Herrschaft stehende Gebiet um Neuenburg fiel 1032 an ein von den Grafen von Fenis abstammendes Geschlecht, das sich nach Neuenburg benannte. Die nun zum Heiligen Römischen Reich gehörende Herrschaft wurde 1196 zur Grafschaft erhoben und war mit Erlöschen des Herzogtums Zähringen zwischenzeitlich reichsunmittelbar. Seit 1288 waren die Grafen Chalon und später als deren Erben das Haus Oranien Oberlehnsherrn der Grafschaft. Nach dem Tod des letzten Grafen von Neuenburg 1373 kamen die Besitzungen jeweils im Erbweg 1395 an die Grafen von Urach-Freiburg, 1458 an die Markgrafen von Hachberg und 1503 an den Herzog von Orléans-Longueville. Unter dem Protektorat Berns führte 1530 Guillaume Farel (1489-1565) die Reformation in Neuenburg ein.
1579/92 erwarb das Haus Orléans-Longueville die Herrschaftsrechte über Valangin und Heinrich II. (1595-1663) nahm 1643 den Titel eines Fürsten von Neuenburg an. Im Westfälischen Frieden 1648 wurde Neuenburg offiziell zu einem unter dem Schutz der Schweizer Eidgenossenschaft stehenden Fürstentum erhoben. Nach dem Tod des letzten Fürsten von Orléans-Longueville 1694 und dem Tod der Regentin Marie de Nemours (1625-1707) entschieden sich die Neuenburger Stände unter 25 zumeist französischen und katholischen Prätendenten für den mit dem Haus Oranien verwandten protestantischen König Friedrich I. in Preußen (1657-1713) als neuen Landesherrn, mit dem Neuenburg in Personalunion verbunden wurde. Ihm hatte 1694 der englische König Wilhelm III. von Nassau-Oranien (1650-1702) seine Ansprüche auf Neuenburg abgetreten.
Im Vertrag von Schönbrunn 1805 mit Frankreich tauschte Friedrich Wilhelm III. von Preußen (1770-1840) Neuenburg und Kleve gegen Hannover ein. Napoleon I. (1769-1821) schenkte das Fürstentum seinem Generalstabschef Marschall Berthier (1753-1815). Nach dem ersten Pariser Frieden verzichtete Berthier durch Vertrag vom 3. Juni 1814 gegen eine lebenslängliche Rente zugunsten des Königs von Preußen auf das Fürstentum. Am 12. September 1814 trat Neuenburg als 21. souveräner Kanton der Schweizer Eidgenossenschaft bei, blieb aber gleichzeitig Fürstentum des preußischen Königs.
Das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) ist eine Monarchie. Die preußischen Könige Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797-1840, in Neuenburg 1814-1840) und sein Sohn Friedrich Wilhelm IV. (reg. 1840-1861, in Neuenburg 1840-1857) aus der brandenburgisch-preußischen Linie des Hauses Hohenzollern regieren in Personalunion als Fürsten von Neuenburg. In Neuenburg wird der preußische König durch einen Gouverneur vertreten. Nach der Wiedervereinigung mit dem preußischen Königshaus 1814 erlässt Friedrich Wilhelm III. für das Fürstentum eine Verfassung, die so genannte Charte Constitutionelle vom 18. Juni 1814. Mit der Charte bestätigt er zum Einen die Verträge und Privilegien von 1707, wonach der der Staatsrat mit zumeist 24 vom König ernannten Mitgliedern, welche die oberste vollziehende und richterliche Gewalt inne haben, erhalten bleibt. Zum Anderen stellt er die gewandelten politischen Verhältnisse auf eine rechtliche Basis: Anstelle der "Trois Etat" (Drei-Stände-Gericht) treten die "Audiences générales" als Parlament mit legislativen Befugnissen. Den Audiences générales gehören die zehn ältesten Staatsräte, 14 vom König berufene Notabeln, die führenden Richter und 30 von den Gerichtsbezirken selbst benannte Mitglieder an. In der Charte Constitutionelle wird zudem die Religionsfreiheit fest verankert. Die Revolution von 1830 bringt die Umwandlung der Audiences générales in einen "Corps Législatif" (dt. gesetzgebende Versammlung), in den für 500 Einwohner je ein Abgeordneter gewählt und zehn Abgeordnete durch den König berufen werden.
Im Zuge der Februarrevolution 1848 wird am 2. März 1848 die Republik ausgerufen. Da Friedrich Wilhelm IV. in Preußen ebenfalls mit dem revolutionären Umbruch konfrontiert ist, greift er in Neuenburg zunächst nicht ein, verzichtet aber auch nicht auf seine Rechte. Die von den Aufständischen entworfene republikanische Verfassung findet in der Volksabstimmung vom 30. April 1848 nur eine schwache Mehrheit (5.800 gegen 4.400 Stimmen). Im 2. Londoner Protokoll 1852 erkennen die europäischen Großmächte zwar die Rechte der preußischen Krone in Neuenburg an, erklären sich aber nicht zur Intervention bereit. Ein royalistischer Putsch am 2./3. September 1856 wird von den republikanischen Kräften in Neuenburg niedergeschlagen. Nach Vermittlung der europäischen Großmächte verzichtet Friedrich Wilhelm IV. am 26. Mai 1857 schließlich auf seine Rechte, behält aber den Titel "Fürst von Neuenburg und Graf von Valangin" bei.
Das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) ist seit 1815 eingeteilt in die 21 Gerichtsbezirke Neuchâtel, Valangin, Le Landeron, Boudry, Val-de-Travers, Thielle, Le Locle, La Chaux-de-Fonds, La Côte, Rochefort, Colombier, La Sagne, Bevaix, Corteillod, Les Verrières, Lignières, La Brévine, Les Brenets, Travers, Gorgier und Vaumarcus. 1833 fallen die Gerichtsbezirke Rochefort, Colombier, Bevaix, Corteillod und Vaumarcus weg, die Mairie des Ponts-de-Martel kommt hinzu.
Das republikanische Neuenburg wird am 17. Juni 1848 in die sechs Distrikte Neuchâtel, Boudry, Le Val-de-Travers, Le Valle-Ruz, Le Locle und La Chaux-de-Fonds eingeteilt.
Nach amtlicher Zählung von 1816 hat das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) 51.586 Einwohner. Bis 1850 ist die Einwohnerzahl um 38% auf 70.753 Einwohner angestiegen.
1835 zählt die Hauptstadt Neuenburg 5.600 Einwohner. Bis 1850 ist die Einwohnerzahl um 41% auf 7.901 angestiegen. Bevölkerungsreichste Stadt ist La Chaux-de-Fonds mit 12.638 im Jahre 1850. 1850 leben 40% der Bevölkerung in den drei Städten La Chaux-de-Fonds, Locle und Neuchâtel. Die Bevölkerung Neuenburgs gehört primär der reformierten Glaubensrichtung an. Für 1844 werden zudem rund vier Prozent Katholiken angegeben. Landessprache ist das Französische.
Wegen der Hochlage wird im Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) nur wenig Getreide angebaut. Weitaus besser gedeiht der Obst- und vor allem der Weinbau für einen champagnerähnlichen "Vin Mousseux". In der Viehzucht liegt der Schwerpunkt auf Rinderzucht.
An Bodenschätzen verfügt Neuenburg über Eisenerz, eisenhaltigen Mergel der zur Farbherstellung genutzt wird sowie Steinkohle, Torf und Asphalt. Mineralquellen finden sich in Locle, Brévine, Chatagne und les Ponts.
Der wichtigste Gewerbezweig Neuenburgs ist die Uhrmacherei, die vor allem in La-Chaux-de-Fonds und Locle angesiedelt ist. Im Textilgewerbe sind Spitzen und Baumwolle vorrangig. Bedeutend ist auch die Produktion von Gold- und Silberwaren. 1826 gründet Philippe Suchard (1797-1884) eine Kakaomühle in Serrière, aus der kurze Zeit später eine Schokoladenfabrik mit dem bis heute existierenden Markenprodukt "Suchard" entsteht.
In der Charte Constitutionelle von 1814 wird auch die Handelsfreiheit verankert. Ausgeführt werden vor allem Uhren, Champagner, Absinth, Spitzen- und Baumwollprodukte. Eingeführt werden insbesondere Getränke, Seiden- und Wollwaren sowie Salz und Metallrohstoffe.
In Neuenburg wird nach Neuchâteler Livres oder Franken zu 20 Sous à 12 Deniers gerechnet. Als Längenmaße gelten Pied du Pays (Landfuß) und Pied du Champ (Feldfuß), Flächenmaß ist die Faux (auch Faulx, Juchart oder Morgen), Handelsgewicht ist der Zentner.
Der Straßenbau wird erst 1849 für das gesamte Kanton gesetzlich geregelt. 1854 ist eine Verbindung zum Hochland über die Seyon-Schlucht fertiggestellt.
Die ersten zwei Bahnlinien von Thielle und Vaumarcus in die Hauptstadt Neuchâtel werden 1860 eröffnet.
Seit 1853 besteht eine Dampfschifffahrtsgesellschaft auf dem Neuenburger See.
Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) leitet 1838 die Gründung einer Akademie in Neuenburg ein, die ihre Statuten am 20. Juni 1841 erhält und seit ihrer Neugründung 1848 bis heute als Universität besteht. 1829 setzt der Staatsrat eine Kommission zur Verbesserung des Schulwesens ein, deren Ziel es ist, allen Kindern ein Minimum an Schulbildung zu garantieren. Die Umsetzung erfolgt jedoch nur schleppend, da gerade die Kinder entlegener Dörfer nur schwer fassbar sind. Auch bleibt der kirchliche Einfluss weiterhin stark. Um 1844 bestehen eine höhere Schule in Neuenburg sowie zwei Mittel- und zwei Volksschulen in La-Chaux-de-Fonds und Locle. Seit 1769 verfügt die Hauptstadt Neuenburg über einen Konzertsaal, der auch für Theateraufführungen, Bälle etc. genutzt wird. 1837 wird ein eigenes Theatergebäude eröffnet, das bis heute existiert.
Im November 1857 stößt ein Fischer am östlichen Ende des Neuenburger Sees auf erste Zeugnisse der später nach ihrem Fundort benannten keltischen La-Tène-Kultur.
Das Fürstentum Neuenburg (Neuchâtel) wird am 12. September 1814 als 21. Kanton in die Eidgenossenschaft aufgenommen und ist der einzige monarchische Kanton des Schweizerbundes. Zuvor war Neuenburg lediglich als "zugewandter Ort" mit der Eidgenossenschaft verbunden. Das Fürstentum ist in Personalunion mit der preußischen Monarchie verbunden, jedoch weder Mitglied des Deutschen Bundes noch des Deutschen Zollvereins.
Mit dem Tod König Friedrich Wilhelms IV. von Preußen am 12. Juli 1857 erlischt der Titel "Fürst von Neuenburg und Graf von Valangin" endgültig. Neuenburg (Neuchâtel) ist bis heute Schweizer Kanton mit einer Fläche von 803km² und 167.500 Einwohnern im Jahre 2004. Die "Galéries de l'Histoire" und das "Musées d'art et Histoire", beide in der Stadt Neuenburg gelegen, erinnern an die Geschichte des ehemaligen Fürstentums. Im Neuenburger Residenzschloss befindet sich heute die Kantons-Regierung. In Hauterive, östlich der Stadt Neuenburg, liegt der Park "Laténium", der die Fundstücke der La-Tène-Kultur präsentiert und sich mit der Archäologie in Neuenburg sowie archäologischen Funden seit der Vor- und Frühgeschichte beschäftigt.
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