III Dokumentation und Datensätze

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Regierungsbezirke

 

Niederhessen (1821-1865)

 

Geschichte/Verwaltung/Geographie

Die Provinz Niederhessen, die in etwa die Funktion eines Regierungsbezirks hat, wird auf der Grundlage des Organisationsedikts vom 21. August 1821 als Mittelbehörde des Kurfürstentums Hessen-Kassel gebildet, Regierungssitz ist Kassel. Im Norden grenzt sie an den preußischen Regierungsbezirk Minden und die hannoversche Provinzialregierung Hannover. Im Osten liegen der preußische Regierungsbezirk Erfurt und das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach. Im Süden schließen sich die ebenfalls zu Hessen-Kassel gehörenden Gebiete Fulda und Oberhessen an, und im Westen das Fürstentum Waldeck.

Zu Niederhessen gehören die Exklaven Schaumburg und Laubach. Schaumburg ist vom Fürstentum Schaumburg-Lippe, der Provinzialregierung Hannover, dem Fürstentum Lippe-Detmold und dem Regierungsbezirk Minden umgeben, Laubach liegt im südlichen Teil der Provinzialregierung Hannover. Niederhessen umfasst den unteren Teil der ehemaligen Landgrafschaft gleichen Namens sowie das Fürstentum Fritzlar und die Grafschaft Schaumburg. 1821 ist Niederhessen in die Kreise Kassel, Hofgeismar, Wolfhagen, Fritzlar, Homberg, Melsungen, Witzenhausen, Eschwege, Rotenburg und Schaumburg untergliedert. Die Kreiseinteilung bleibt bis zur Annexion des Kurfürstentums Hessen-Kassel durch Preußen 1866 weitgehend erhalten. In der Revolutionszeit - von Februar 1849 bis September 1851 - ist Hessen-Kassel in neun Bezirksdirektionen eingeteilt, welche die Provinzen als Mittelbehörden vorübergehend ersetzen.

Für Niederhessen wird eine Fläche von 69 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 4.282km² im Jahr 1821. Das Gebiet Niederhessen ist weitgehend gebirgig. Das Werragebirge mit dem Hohen Meißner, das Fuldagebirge mit dem Reinhartswald sowie Habichtswald und Knüllgebirge, Riedforst und Sillingswald durchziehen das Land. In der weiter nördlich gelegenen Exklave Schaumburg liegen der Hohenstein im Süntelgebirge sowie Teile von Deister und Bückeberg. Die wichtigsten Flüsse sind Weser, Werra und Fulda. Durch die Exklave Schaumburg fließt die Weser.

 

Bevölkerung/Wirtschaft/Verkehr

Im Gründungsjahr 1821 liegt die Einwohnerzahl von Niederhessen bei 281.597. Bis 1865 hat sie sich um 30% auf 366.152 erhöht.

Haupterwerbszweige sind Landwirtschaft und Bergbau. In der Landwirtschaft werden Weizen, Roggen, Gerste und vor allem Flachs und Tabak angebaut. Auch die Forstwirtschaft ist bedeutend. In der Viehzucht überwiegen Schweine- und Schafzucht. Im Bergbau werden bei Rotenburg Silber und Kupfer gewonnen. Salinen gibt es in Allendorf, Karlshafen, Sooldorf und Rodenberg. Steine finden sich vornehmlich in Almerode, Braunkohle bei Ahlberg und Wickenrode. Die Braunkohleförderung liegt 1850 bei 86.523t und steigert sich bis 1865 auf 146.218t jährlich. Die wichtigsten Steinkohlen-und Torfbestände liegen in der Grafschaft Schaumburg. Der Steinkohlenertrag beläuft sich 1850 auf 83.396t und erreicht 1856 mit 153.307t einen Höchststand.
Der gewerbliche Schwerpunkt liegt auf der Leineweberei, die vornehmlich in Manufakturen, häufig als Nebenerwerb, betrieben wird. Zentren sind Kassel und Eschwege. Die Roheisenproduktion liegt 1863 bei 1.983t pro Jahr, die Stahlproduktion im selben Jahr lediglich bei 307t. Bedeutende Tabakfabriken gibt es in Kassel.

Das Chausseenetz Niederhessens geht 1848 sternförmig von Kassel und in der Exklave Schaumburg von Rinteln aus in alle Richtungen. Erste Eisenbahnverbindung ist die 1848 fertiggestellte Linie Karlshafen-Kassel. Ein Jahr später sind die Verbindungen Kassel-Bebra und Kassel-Wabern in Betrieb. Es folgen die Verbindungen Kassel-Marburg (1850) und Kassel-Hannover (1856). Schiffbare Wasserstraßen sind Weser, Werra und Fulda. Binnenhäfen befinden sich in Karlshafen an der Weser und in Witzenhausen an der Werra.

 

Kultur/Territoriale Entwicklung ab 1866/Kulturerbe

Geistiges und kulturelles Zentrum ist die Stadt Kassel, die Provinz- und gleichzeitig Landeshauptstadt des Kurfürstentums Hessen ist, mit dem nahegelegenen Residenzschloss Wilhelmshöhe. Am Rande des Friedrichsplatzes in Kassel hatte sich Landgraf Friedrich II. 1779 für seine Kunstsammlungen und die Landesbibliothek von Simon Louis du Ry (1726-1799) das frühklassizistische Fridericianum (1769-79) errichten lassen. In der Landesbibliothek arbeiten von 1814 bis 1829 die gebürtigen Hanauer Jacob Grimm (1785-1863) und Wilhelm Grimm (1786-1859) als kurfürstliche Bibliothekare. 1817 wird in Kassel eine Handwerksschule und 1832 eine höhere Gewerbeschule, das Polytechnikum, eingerichtet.

Im Jahr 1866 wird Niederhessen als Landesteil des Kurfürstentums Hessen-Kassel von Preußen annektiert. Die Provinz geht im preußischen Regierungsbezirk Kassel auf, die Kreisstrukturen bleiben weitgehend erhalten.

Heute ist Kassel Hauptstadt des gleichnamigen Landkreises im Bundesland Hessen. Der Landkreis umfasst 1.293km² und zählt 245.837 Einwohner zum Jahresende 2002. Schloß Wilhelmshöhe, in preußischer Zeit von Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) als Sommerresidenz genutzt, beherbergt heute die Staatlichen Kunstsammlungen mit der Antikensammlung, der graphischen Sammlung und der Gemäldegalerie Alter Meister. In die ausgebrannte Ruine des Fridericianums zieht 1955 die erste "documenta" ein - eine richtungsweisende Ausstellung moderner Kunst, die inzwischen zu einer periodisch wiederkehrenden Einrichtung geworden ist. Das 1959 von der Stadt Kassel und der Brüder Grimm-Gesellschaft gegründete Brüder Grimm-Museum befasst sich mit der Sammlung, Dokumentation und wissenschaftlichen Erforschung von Leben und Werk Jacob und Wilhelm Grimms.

 

Verwendete Literatur