III Dokumentation und Datensätze

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Rheinprovinz (1822-1914)

 

Gebiet

Die preußische Rheinprovinz entsteht 1822 aus dem Zusammenschluss der preußischen Provinzen Niederrhein und Jülich-Kleve-Berg. Sie befindet sich in Westdeutschland und bildet mit Ausnahme der Exklaven Krofdorfer Wald und Wetzlar-Braunfels ein geschlossenes Gebiet. Die Rheinprovinz grenzt im Norden an die Niederlande und die preußische Provinz Westfalen, im Osten an das Herzogtum Nassau und das Großherzogtum Hessen-Darmstadt, im Süden an die bayerische Pfalz ( Rheinkreis), den Hessen-Homburger Landesteil Meisenheim, das Sachsen-Coburg-Saalfelder Fürstentum Lichtenberg, das Oldenburger Fürstentum Birkenfeld und Frankreich und im Westen an Luxemburg, die Niederlande und das preußisch-nieder- ländische Kondominat Neutral-Moresnet. Die Exklave Krofdorfer Wald liegt zwischen Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt und die Exklave Wetzlar-Braunfels zwischen Hessen-Darmstadt und Nassau. Hauptstadt und Sitz des Oberpräsidenten ist Koblenz.

 

Geographie/Topographie

Für die Rheinprovinz wird 1822 eine Fläche von 477 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 26.239km². Die Rheinprovinz ist die westlichste Provinz des Königreichs Preußen. Die größere südliche Hälfte der Rheinprovinz ist sehr gebirgig und besteht aus verschiedenen Teilen des rheinisch-westfälischen Schiefergebirges. Auf der rechten Rheinseite treten Ausläufer des Westerwaldes bis an den Strom heran, so z.B. das Siebengebirge bei Königswinter. Auf der linken Rheinseite erheben sich der Hunsrück und die Eifel. Höchste Erhebung ist der 830m hohe Erbeskopf im Hunsrück. Innerhalb des Berglandes befinden sich in der Moselebene zwischen Konz und Schweich und dem Neuwieder Becken an der Moselmündung sowie im Saartal und in der Gegend bei Kreuznach sehr fruchtbare Böden. Die nördliche Ebene der Rheinprovinz besitzt insbesondere zwischen Aachen, Bonn und Krefeld fruchtbares Ackergebiet. Rund 30% des Gebietes sind bewaldet.
Hauptfluss ist der Rhein, der die Provinz auf einer Strecke von 335km von Emmerich im Norden bis Koblenz im Süden durchfließt. Rechter Hand nimmt der Rhein Sayn, Wied, Sieg, Wupper, Ruhr, Emscher und Lippe auf, linker Hand Nahe, Mosel, Nette, Ahr und Erst. Die Mosel empfängt rechts die Saar, links die Sauer, Kyll, Salm, Liefer, Alf, Üß und Elz. Der einzige See von Bedeutung ist der Laacher See in der Eifel. Ebenfalls in der Eifel befinden sich einige kleinere Kraterseen, Maare genannt. Die Exklave Wetzlar-Braunfels liegt an der Lahn.
Das Klima ist in der Tiefebene sowie in den Tälern des Berglandes sehr mild, dagegen in Neunkirchen und auf den höchsten Teilen der Eifel und des Hohen Venn sehr rau.

 

Geschichte und Verwaltungsentwicklung

Die preußische Rheinprovinz entsteht per Erlass vom 27. Juni 1822 durch Zusammenschluss der preußischen Provinzen Jülich-Kleve-Berg und Niederrhein, die selbst erst im Zuge der Verhandlungen auf dem Wiener Kongress 1815 zusammengeführt und Preußen zugesprochen worden waren. Die Rheinprovinz gliedert sich in die fünf Regierungsbezirke Koblenz, Düsseldorf, Köln, Aachen und Trier. 1835 erwirbt Preußen das Fürstentum Lichtenberg von Sachsen-Coburg und Gotha und gliedert es als Kreis St. Wendel dem Regierungsbezirk Trier an. Für die seit 1850 zu Preußen gehörenden Fürstentümer Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen übernehmen die Behörden der Rheinprovinz die Schul-, Medizinal- und Bergbauangelegenheiten. Das 1866 von Preußen übernommene Oberamt Meisenheim der ehemaligen Landgrafschaft Hessen-Homburg wird als Kreis Meisenheim an den Regierungsbezirk Koblenz angeschlossen.

 

Bevölkerung/Wirtschaft/Verkehr

Im Jahr 1822 liegt die Einwohnerzahl der Rheinprovinz bei 2.031.526. Bis 1850 steigert sie sich um 40% auf 2.846.708. Im Jahre 1905 hat sich die Einwohnerzahl auf 6.504.619 verdreifacht.

In der Landwirtschaft sind der Garten- und Obstbau in den fruchtbaren Ebenen sowie der Weinanbau in den Rhein- und Moseltälern hervorzuheben. Neben Getreide werden Zuckerrüben, Tabak, Hopfen, Flachs, Hanf und Raps angebaut. Nach der Viehzählung von 1904 hatte die Rheinprovinz 201.226 Pferde, 1.157.457 Rinder, 117.481 Schafe, 968.617 Schweine und 301.208 Ziegen. Große Bedeutung hat der Steinkohlenbergbau an Ruhr und Saar sowie bei Aachen. Die Fördermenge liegt 1850 bei 1.913.150t und steigert sich bis 1913 auf 49.935.440t pro Jahr. Braunkohlenabbau ist v.a. im Landrücken Ville im Westerwald angesiedelt, Eisenerze werden hauptsächlich an der Sieg und Wied abgebaut. An Rohstoffen finden sich zudem Zink- und Bleierze, Kupfer, Mangan- und Vitriolerze, Kalk, Gips, Ton, Dachschiefer, Basalt sowie zahlreiche Mineralquellen.
Die Rheinprovinz ist die industriereichste Provinz des Königreichs Preußen. Die größten Eisenwerke gibt es in Essen, Oberhausen, Duisburg, Düsseldorf, Köln-Deutz, Eschweiler, Neunkirchen, Quint bei Trier und Saarbrücken. Die Kleineisen- und Stahlwarenfabrikation hat ihren Schwerpunkt in und um Solingen und Remscheid im Bergischen Land. Die Roheisenverarbeitung beläuft sich im Jahre 1855 auf 131.721t und erreicht 1911 einen Höchstwert von 6.084.447t pro Jahr. Die Stahlproduktion liegt 1850 bei 54.837t und steigert sich bis 1911 auf 6.390.313t.
Die Zentren der Textilindustrie liegen in Aachen, Burtscheid, Eupen, Düren, Lennep und Kettwig. Krefeld ist der Hauptsitz der deutschen Seidenindustrie, Wuppertal Zentrum der Baumwollverarbeitung und der chemischen Industrie. Der Schwerpunkt liegt mit 14.976 Webstühlen im Jahre 1849 in der gewerblichen Baumwollweberei.Wichtige Handelsstädte sind Koblenz, Köln, Mülheim, Düsseldorf, Duisburg, Ruhrort und Wesel, die alle über Binnenhäfen verfügen.

Die 1905 zusammengeschlossenen Häfen Duisburg und Ruhrort bilden den größten europäischen Binnenhafen. Schiffbare Flüsse sind Rhein, Mosel, Saar, Lahn, Ruhr und Lippe. Im Jahre 1906 wird mit dem Bau des Mittellandkanals zur Verbindung des Rheins mit der Leine bei Hannover begonnen. Der 213km lange Bauabschnitt bis Hannover ist 1916 fertiggestellt.
1838/39 werden mit den Eisenbahnlinien Düsseldorf-Erkrath und Müngersdorf-Köln die ersten Bahnverbindungen der Rheinprovinz fertiggestellt. Insbesondere der industriereiche nördliche Teil der Provinz verfügt bereits zur Jahrhundertmitte über ein engmaschiges Eisenbahnnetz, die Hauptstadt Koblenz wird wegen der für den Eisenbahnbau schwierigen Topographie des mittleren Rheintals erst 1858 angeschlossen.

 

Kultur und Bildung

Am 18. Oktober 1818 wird die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn durch den preußischen König Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) als sechste preußische Universität gegründet. Die Universität dient als akademische Ausbildungsstätte für die neuen preußischen Provinzen im Westen Deutschlands, also die bis 1822 getrennt bestehenden Rheinprovinzen Jülich-Kleve-Berg und Niederrhein sowie Westfalen. Die Universität bezieht die Räume der ehemaligen erzbischöflichen Residenz in Bonn und übernimmt das Zepter und den Großteil der Bibliotheksbestände der Duisburger Universität, die am selben Tag aufgelöst wird. An weiteren Unterrichtsanstalten zählt die Rheinprovinz um 1900 rund 45 Gymnasien, 15 Realgymnasien, 10 Oberrealschulen, 17 Progymnasien, 20 Realschulen, 3 Realprogymnasien, eine Technische Hochschule in Aachen, eine Handelshochschule in Köln, eine Landwirtschaftsschule in Poppelsdorf bei Bonn, eine Kadettenanstalt in Bensberg und zehn Schullehrerseminare.
Die Düsseldorfer Kunstakademie wird 1819 wieder errichtet und wirkt unter ihren Direktoren Peter von Cornelius (1783-1867) und Wilhelm von Schadow (1788-1862) als "Düsseldorfer Schule" über das Rheinland hinaus.
Das größte literarische Talent des Rheinlandes jener Zeit ist Heinrich Heine (1797-1856), der als Dichter der Romantik beginnt und mit Liedern wie der "Loreley" frühen Ruhm erlangt. Bald entwickelt Heine einen eigenen, realistisch-ironischen Stil und gehört zum Kreis der politisch kritischen Denker des Vormärz. Ab 1833 sind seine Werke in Preußen, ab 1835 im gesamten Deutschen Bund verboten. Seit 1831 lebt Heine im Exil in Paris. Auf einer seiner letzten Deutschlandreisen verfasst er das satirische Versepos "Deutschland. Ein Wintermärchen", in dem er sich kritisch-distanziert mit seinem Vaterland auseinandersetzt. Anlässlich der Enthüllung des Beethovendenkmals in Ludwig van Beethovens (1770-1827) Geburtsstadt Bonn findet 1845 erstmalig das Beethovenfest statt und entwickelt sich zum bedeutendsten niederrheinischen Musikfest. Am 4. September 1842 legen der preußische König Friedrich Wilhelm IV. (1795-1861) und der Kölner Erzbischof Johannes von Geissel (1796-1864) den Grundstein zum Weiterbau des 1248 begonnen und seit dem 15. Jahrhundert nicht weiter gebauten Kölner Domes. Die Feierlichkeiten zur Vollendung des Dombaus 1880 nutz Kaiser Wilhelm I. als identitätsstiftendes Element für das 1871 gegründete Deutsche Reich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts findet in der Malerei der Expressionismus mit August Macke (1887-1914), der seit 1900 in Bonn lebt und arbeitet, Eingang in das Rheinland. Dem Expressionismus ebenso wie dem Naturalismus verpflichtet ist auch der Duisburger Bildhauer und Grafiker Wilhelm Lehmbruck (1881-1919), der seit 1901 an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert und 1910 seinen ständigen Wohnsitz nach Paris verlegt. Ganz neue Wege geht der 1907 gegründete "Deutsche Werkbund" als Vereinigung von Künstlern, Architekten, Unternehmern und Sachverständigen, der sich 1914 mit einer vielbeachteten Ausstellung in Köln präsentiert.

 

Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Durch die Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 werden die Gebiete Eupen und Malmedy an Belgien abgetreten und die preußischen Teile des Saarlands gemeinsam mit Gebietsteilen der bayerischen Pfalz ab 10. Januar 1920 bis zu einer für das Jahr 1935 geplanten Volksabstimmung der treuhänderischen Verwaltung durch den Völkerbund unterstellt und 1925 dem Zollgebiet Frankreichs einverleibt. Ebenfalls befristet auf 5-15 Jahre werden das linke Rheinufer und rechtsrheinische Brückenköpfe durch alliierte Truppen besetzt und das Rheinland zur entmilitarisierten Zone erklärt. Von Januar 1923 bis Juli/August 1925 ist das Ruhrgebiet wegen rückständiger Reparationszahlungen von französischen und belgischen Truppen besetzt. Der von der Reichsregierung und den Gewerkschaften unterstützte passive Widerstand führt unter anderem zur Inflation und muss im September 1923 abgebrochen werden. Militante rheinische Separatisten nutzen die Unruhen und rufen am 21. Oktober 1823 in Aachen die unabhängige "Rheinische Republik" aus, die allerdings schon einen Monat später von nationalen Bürgerwehren gestürzt wird.
Per Verordnung vom 1. August 1932 wird die Exklave Wetzlar-Braunfels an die preußische Provinz Hessen-Nassau angegliedert. Im Rahmen des Groß-Hamburg-Gesetzes vom 1. April 1937 geht das bis dahin zu Oldenburg gehörende Fürstentum Birkenfeld an die Rheinprovinz. 1945 fallen die Regierungsbezirke Koblenz und Trier unter die Besatzungshoheit Frankreichs und gehen 1946 im Land Rheinland-Pfalz auf. Die übrigen Gebiete der Rheinprovinz werden zusammen mit der Provinz Westfalen am 23. August 1946 in das neugebildete Land Nordrhein-Westfalen eingegliedert, zu dem ab 1947 auch Lippe gehört.
Seit 1949 ist Nordrhein-Westfalen Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. Die ehemalige Residenz des Oberpräsidenten, das kurfürstliche Schloss, beherbergt heute verschiedene Bundesbehörden, darunter die Oberfinanzdirektion und das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB). Seit 2002 ist das Kurfürstliche Schloss Teil des von der UNESCO ausgezeichneten Weltkulturerbes "Oberes Mittelrheintal". Der 1953 eingerichtete Landschaftsverband Rheinland umfasst den nördlichen Teil der ehemaligen preußischen Rheinprovinz und hat seinen Sitz in Köln. Der Landschaftsverband setzt die preußische Tradition kommunaler Selbstverwaltung fort und ist im kulturellen Bereich u.a. Träger der Rheinischen Industriemuseen in Bergisch-Gladbach, Engelskirchen, Euskirchen, Oberhausen, Ratingen und Solingen sowie des Rheinischen Landesmuseums Bonn, das sich der Kunst und Kultur des Rheinlandes "vom Neandertaler bis heute" widmet.

 

Verwendete Literatur