III Dokumentation und Datensätze

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Provinz Schlesien (1820-1914)

 

Gebiet

Die preußische Provinz Schlesien befindet sich im Osten des Deutschen Bundes und bildet ein geschlossenes Gebiet. Schlesien grenzt im Norden an die preußische Provinz Posen, im Osten an das in Personalunion mit Russland verbundene Königreich Polen sowie die Freie Stadt Krakau, im Süden an das Kaisertum Österreich und im Westen an das Königreich Sachsen und die preußische Provinz Brandenburg. Hauptstadt und Sitz des Oberpräsidenten ist Breslau.

 

Geographie/Topographie

Für die Provinz Schlesien wird 1821 eine Fläche von 741Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 39.672km². Die Provinz Schlesien ist zum größeren Teil Tiefland und zum kleineren Teil Gebirgsland. Im Südwesten liegen die Sudeten mit dem Glatzer Gebirge, dem Eulengebirge, dem Riesengebirge und dem Lausitzer Gebirge. In der Mitte und im Norden der Provinz befindet sich zu beiden Seiten der Oder das schlesische Tiefland. Durch die Provinz zieht sich der Schlesische Landrücken. Höchste Erhebung ist die 1603m hohe Schneekoppe im Riesengebirge. Rund 30% des Gebiets sind bewaldet. Schlesien gehört weitgehend zum Stromsystem der Oder, nur im Südosten berührt die Weichsel die Grenze, und aus dem Westen fließen Iser, Spree und Schwarze Elster zur Elbe. Die Oder durchströmt die Provinz in ihrer ganzen Länge von Südosten nach Nordwesten. Auf der rechten Seite fließen ihr Olsa, Klodnitz, Malapane, Weida und Bartsch zu, auf der linken Seite Oppa, Zinna, Hotzenplotz, Glatzer Neiße, Ohlau, Weistritz und Katzbach. Bober und Lausitzer Neiße münden außerhalb der Provinz in die Oder. Einzig größerer Landsee ist der Schlawasee. Das Klima ist am mildesten bei Grünberg, rauer in den Gebirgen und in Oberschlesien.

 

Geschichte und Verwaltungsentwicklung

Das nach dem vandalischen Stamm der Silinger benannte Herzogtum Schlesien war seit dem 10. Jahrhundert zunächst über Böhmen und Polen, dann über wechselnde Lehnsherren und verschiedentlich geteilt Bestandteil des Heiligen Römischen Reichs. Im Jahre 1526 gelangte ganz Schlesien mit Böhmen durch Erbfall an das österreichische Haus Habsburg. 1740-1742 eroberte Friedrich II. (1712-1786) für Preußen Niederschlesien, große Teile Oberschlesiens und die böhmische Grafschaft Glatz, während die südlichen Teile Schlesiens um Troppau-Jägerndorf, Teschen, Neiße und Bielitz bei Österreich blieben.
Aus den von Preußen eroberten Gebieten und der 1815 vom Königreich Sachsen an Preußen abgetretenen Ostoberlausitz um Görlitz und Lauban wird per Verordnung vom 30. April 1815 und mit Wirkung zum 1. Mai 1816 die preußische Provinz Schlesien gebildet.
Die Provinz Schlesien gliedert sich in die Regierungsbezirke Breslau, Liegnitz und Oppeln. Von 1816 bis April 1820 besteht zudem der Regierungsbezirk Reichenbach. Seit 1824 werden Provinziallandstände einberufen, die sich in der Hauptstadt Breslau versammeln. Die 92 Mitglieder setzen sich aus zehn Vertretern der ehemaligen Reichstände, 36 Mitgliedern der Ritterschaft, 30 Vertretern der Städte und 16 Vertretern der Bauern zusammen. 1825 kommt von der preußischen Provinz Brandenburg die Herrschaft Hoyerswerda zum Provinzgebiet hinzu. Abgesehen von Grenzkorrekturen 1835 mit Russland und 1869 mit Österreich verändert sich das Gebiet der Provinz Schlesien bis 1914 nicht.

 

Bevölkerung/Wirtschaft/Verkehr

Im Jahr 1820 liegt die Einwohnerzahl der Provinz Schlesien bei 2.120.175. Bis 1850 steigert sie sich um 46% auf 3.101.871. Bis 1905 steigert sich die Bevölkerungszahl um weitere 60% auf 4.942.611. Im Jahre 1905 gehört rund ein Fünftel der Bevölkerung der polnischen Volksgruppe an.

Der Getreideanbau deckt vollständig den Bedarf der Provinz. Daneben werden vornehmlich Flachs, Zuckerrüben, Kartoffeln und Obst angebaut. Nach der Viehzählung von 1906 gibt es 327.120 Pferde, 1.599.623 Rinder, 289.699 Schafe, 1.230.477 Schweine und 231.893 Ziegen. Für die Pferdezucht bestehen Landgestüte in Leubus und Kosel. Die Rinderzucht ist vornehmlich in der fruchtbaren Landschaft zwischen Liegnitz und Ratibor angesiedelt.
In Schlesien befindet sich mit dem 1.440km² großen Flöz auf der rechten Oderseite in Oberschlesien die größte Steinkohlenablagerung des europäischen Festlandes. Der Steinkohlenabbau liegt 1850 bei 1.534.823t und steigert sich bis 1913 auf 48.962.803t. Braunkohlen sind in den Hügellandschaften stark verbreitet. 1850 werden 41.918t Braunkohlen abgebaut, 1912 liegt der Abbau bei 2.143.063t. Eisen- und Zinkerze finden sich bei Beuthen in Oberschlesien in unmittelbarer Nachbarschaft des Steinkohlengebirges. Der Eisenerzabbau beläuft sich 1850 auf 327.497t und erreicht 1885 einen Höchstwert mit 934.600t. Ferner werden Kupfer, Blei-, Nickel- und Kobalterze, Schwefelkies, Arsenik, Alaun, Ton, Marmor, Serpentin, Schleif- und Mühlsteine, Kalksteine, Gips, Walkererde, Feld- und Schwerspat, Magnesit und Torf gewonnen. Schlesien ist ein Zentrum des Textilgewerbes und der Hüttenindustrie.
Das Textilgewerbe - später auch industriell geprägt - ist vornehmlich in den Gebieten von Leobschütz bis Löwenberg, meist im und am Gebirge sowie in der Nähe der großen Flachsindustrie in Böhmen angesiedelt. In der ersten Jahrhunderthälfte liegt der Schwerpunkt auf der Leine- und Baumwollweberei: 1840 sind 21.901 Webstühle in der gewerblichen Baumwollweberei, 13.523 Webstühle in der gewerblichen Leineweberei und 13.609 Webstühle in der Leineweberei im Nebenerwerb in Betrieb. Traurige Berühmtheit erlangen die Schlesischen Weber durch den niedergeschlagenen Aufstand im Jahre 1844, der Gerhart Hauptmann (1862-1946) zu seinem sozialkritischen Drama "Die Weber" inspirierte.
Die Hüttenindustrie sowie die Verarbeitung der Metalle haben ihren Hauptsitz in den Steinkohlengebieten. Wichtige Eisengießereien und Maschinenfabriken gibt es in Breslau, Ratibor, Görlitz und Lauban. Die Roheisenverarbeitung beläuft sich 1850 auf 57.435t und erreicht 1912 einen Höchstwert mit 1.048.356t. Die Stahlproduktion liegt 1850 bei 41.150t und steigert sich bis 1911 auf 1.553.191t.

Um der verkehrstechnisch ungünstigen Lage der Provinz Schlesien entgegenzuwirken, wird zunächst 1819 die Chaussee Berlin-Breslau als "Haupt- und Staatsstraße" fertiggestellt und sukzessive bis Krakau ausgebaut. Eine zweite Hauptstraße stellt von Breslau über Ohlau und Neiße die Verbindung zu Österreich her. Als erste schlesische Bahnverbindung wird 1842 die Strecke Breslau-Brieg eröffnet. Bereits 1845 ist das oberschlesische Industriegebiet erreicht und ein Jahr später ist die Verbindung zur preußischen Hauptstadt Berlin fertiggestellt. Im Jahre 1904 umfasst das schlesische Eisenbahnnetz 4.087km an Haupt- und Nebenbahnen, die fast ausschließlich in staatlicher Regie sind. Die Oder ist mit Ausnahme kurzer Strecken anderer Flüsse, der einzige schiffbare Fluss der Provinz, dessen Schiffbarkeit im Hochsommer durch geringen Wasserstand allerdings oft in Frage steht. Der Klodnitzkanal wird 1812 als Verbindung zwischen Oder und dem Oberschlesischen Bergbaurevier eröffnet und zwischen 1888 und 1893 noch einmal ausgebaut. Oderhäfen gibt es in Breslau, Ohlau, Brieg und Kosel.

 

Kultur und Bildung

Im Jahre 1811 wird die seit 1702 bestehende Universität Breslau als schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität zu Breslau mit den fünf Fakultäten katholische Theologie, evangelische Theologie, Recht, Medizin und Philosophie neu gegründet. Sie übernimmt das Inventar und einen Großteil der Professoren der aufgelösten Universität Frankfurt/Oder. Die Breslauer Universität ist damit die erste deutsche Universität mit einer katholischen und einer protestantischen Fakultät. 1820 richtet Gustav Adolf Stenzel (1792-1854) ein Historisches Seminar ein und treibt die damals noch junge quellenkritische Methode in der Geschichtswissenschaft maßgeblich voran. 1905 bestehen neben der Universität in Breslau zwei Kriegsschulen in Glogau und Neiße, 40 Gymnasien, neun Realgymnasien, fünf Oberrealschulen, vier Progymnasien, sieben Realschulen, ein Pomologisches Institut in Proskau, zwei Landwirtschaftsschulen, eine Handelsschule und 22 Schullehrerseminare. 1910 wird in Breslau die Technische Hochschule gegründet. Der schlesischen Kultur und Geschichte widmet sich seit 1822 die "Schlesische Gesellschaft für vaterländische Cultur". Prinz Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871) legt bei Bad Muskau an beiden Ufern der Neiße 1815 bis 1844 mit den Mitteln der "Naturmalerei" einen Park als harmonisches Gartenkunstwerk an und beeinflusst damit die Landschaftsarchitektur in Europa und Amerika. Von literaturgeschichtlicher Bedeutung sind in der Provinz Schlesien unter anderem zu nennen Joseph von Eichendorff (1788-1857) als bekannter Vertreter der deutschen Romantik, der eher volkstümliche Gustav Freytag (1816-1895) und der sozialkritische Naturalist Gerhart Hauptmann (1862-1946), der im Jahre 1912 den Nobelpreis für Literatur erhält.

 

Territoriale Entwicklung ab 1914/Kulturerbe

Nach den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages vom 28. Juni 1919 muss die preußische Provinz Schlesien Teile des Regierungsbezirks Breslau an Polen und das Hultschiner Ländchen als Teil des Regierungsbezirks Oppeln an die Tschechoslowakei abtreten. Von 1919 bis 1938 und von 1941 bis 1945 ist die Provinz Schlesien in die zwei Provinzen Oberschlesien und Niederschlesien geteilt. Nach Auflösung der preußischen Provinz Posen 1922 werden kleinere Gebietsteile der Kreise Krotoschin, Lissa und Rawitsch der Provinz Schlesien angegliedert.
Nach der Besetzung und Teilung Polens durch Deutschland und Russland 1939 bekommt Schlesien den neu gebildeten Regierungsbezirk Kattowitz zugeteilt. Durch Beschluss der alliierten Siegermächte auf der Konferenz von Potsdam 1945 wird Schlesien polnischer Verwaltung unterstellt. Eine Ausnahme bilden die westlich der Lausitzer Neiße gelegen Gebiete Hoyerswerda, Görlitz und Rothenburg, die in das Land Sachsen der Deutschen Demokratischen Republik eingegliedert werden.
Der erste gesamtdeutsche Bundestag erkennt im Deutsch-Polnischen-Grenzvertrag vom 14. November 1990 endgültig die polnische Westgrenze an und gibt damit alle Ansprüche auf die ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reichs auf. Das 1999 eingerichtete Schlesische Museum zu Görlitz, widmet sich in enger Kooperation mit polnischen und tschechischen Institutionen der schlesischen Geschichte und Kultur. Im Mai 2006 kann die ständige Ausstellung zu 900 Jahren schlesischer Geschichte eröffnet werden. Die Universität Köln, die 1951 die Traditionspflege der Schlesischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Breslau übernommen hatte, vereinbart 2003 eine enge Partnerschaft mit der Breslauer Universität. Der Muskauer Park (Park Muzakowski) bei Görlitz wird im Juli 2004 als gemeinsames polnisch-deutsches Kulturerbe in die Welterbeliste der UNESCO aufgenommen.

 

Verwendete Literatur