Die preußische Provinz Ostpreußen ist mit Ausnahme der Jahre 1848-1851 nicht Teil des Deutschen Bundes und gehört zu den östlichen Gebieten des Königreichs Preußen. Die Provinz Ostpreußen bildet ein geschlossenes Gebiet und grenzt im Norden an die Ostsee, im Osten an das Kaiserreich Russland und das in Personalunion mit Russland verbundene Königreich Polen, im Süden ebenfalls an Polen und im Westen an die preußische Provinz Westpreußen. Hauptstadt und Sitz des Oberpräsidenten ist Königsberg. Von 1828 bis 1878 bildet Ostpreußen gemeinsam mit Westpreußen die Provinz Preußen.
Für die Provinz Ostpreußen wird 1821 eine Fläche von 668,21 Quadratmeilen angegeben. Der GIS-Wert beträgt 36.980km².Die Provinz liegt im Norddeutschen Tiefland, ist jedoch keine ausschließlich flache Landschaft. Von Westen nach Osten durchzieht die Provinz in der südlichen Hälfte die Ostpreußische Seenplatte. Im Süden dacht sich die Seenplatte zu einer ebenen Landschaft ab, die reich an Waldungen und Sumpfstrichen ist. Auf der Höhe des Landrückens liegt mit der 313m hohen Kernsdorfer Höhe die höchste Erhebung der Provinz. Rund 17% des Gebietes sind bewaldet. Unterhalb von Tilsit erstreckt sich die fruchtbare Tilsiter Niederung. Kahle Dünenketten ziehen sich an der Küste entlang.
Die Danziger Bucht als eine der größten Einbuchtungen der Ostsee hat für Ostpreußen geringere Bedeutung, da sie nur den nordöstlichsten Teil der Frischen Nehrung und die Westküste des Samlandes berührt. Große Strandseen sind das Kurische und das Frische Haff, von der Ostsee durch die gleichnamigen Nehrungen getrennt. Das Kurische Haff ist Mündungssee der Memel, das Frische Haff Mündungssee des Pregel und eines Teiles der Weichsel.
Die Hauptflüsse der Provinz sind Memel und Pregel. Die im Nordosten gelegene Memel teilt sich in der Tilsiter Niederung in die Ruß und Gilge. Der Pregel, aus Angerapp, Pissa und Inster gebildet, wird bei Insterburg schiffbar und nimmt die Alle auf. Zur Weichsel fließt die Drewenz von den Hochflächen von Osterode aus. Die sehr zahlreichen Landseen der Provinz bilden mehrere Gruppen, von denen die in den Regierungsbezirken Gumbinnen und Allenstein gelegene Masurische Seengruppe die größte ist. Das Klima ist gesund, aber sehr rau.
Ostpreußen umfasst die nach dem zweiten Thorner Frieden mit Polen im Jahre 1466 beim Deutschen Orden verbliebenen Gebiete Preußens mit der Hauptstadt Königsberg. 1530 wandelte der Hochmeister des Deutschen Ordens Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568) das verbliebene Gebiet in das erbliche, unter Lehnshoheit Polens stehende Herzogtum Preußen um. 1618/19 wurde das Herzogtum mit Brandenburg in Personalunion vereinigt und 1657/60 vertraglich von der Lehnshoheit Polens gelöst. Damit war es ein souveränes Land der Kurfürsten von Brandenburg. Am 18. Januar 1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg (1657-1713) in Königsberg als Friedrich I. zum König in Preußen. Mit der auf die anderen brandenburgischen Länder übertragenen Königswürde ging zugleich der Name Preußen auf den brandenburgisch-preußischen Gesamtstaat über, wobei das ehemalige Herzogtum Preußen nicht zum Heiligen Römischen Reich gehörte. Der Name Ostpreußen für das Herzogtum Preußen setzte sich amtlich erst durch, als 1772 Westpreußen nach der ersten Teilung Polens mit dem Königreich Preußen vereinigt wurde: Durch Kabinettsordre vom 31. Januar 1773 wurden die Kammerdepartements Königsberg mit dem 1772 hinzugewonnenen Ermland sowie Gumbinnen zur Provinz Ostpreußen zusammengefasst.
Die im Zuge der "Verordnung wegen verbesserter Einrichtung der Provinzialbehörden" vom 30. April 1815 neu gebildete Provinz Ostpreußen gliedert sich in die Regierungsbezirke Königsberg und Gumbinnen sowie ab 1905 Allenstein. 1824 wird die Verwaltung der Provinzen West- und Ostpreußen unter einem Oberpräsidenten zusammengefasst. Ab 1824 besteht ein gemeinsamer Provinziallandtag für beide Provinzen, der abwechselnd in Königsberg und in Danzig zusammentritt. Im Unterschied zu den anderen preußischen Provinziallandtagen sind nicht vier, sondern drei Stände vertreten und zwar der adlige und bürgerliche Großgrundbesitz mit 15, die Städte mit 13 und die Bauern mit 7 Stimmen. Am 3. Dezember 1829 werden beide Provinzen auch formell zu einer Provinz vereinigt: die von 1829 bis 1877 bestehende Provinz Preußen. Ab 1878 ist Ostpreußen wieder eine selbständige Provinz. Ansonsten gibt es bis 1914 keine territorialen Veränderungen in Ostpreußen.
Im Jahr 1820 liegt die Einwohnerzahl der Provinz Ostpreußen bei 1.032.240. Bis 1850 erhöht sie sich um 44% auf 1.485.806. Bis 1905 steigert sich die Einwohnerzahl um weitere 37% auf 2.030.176.
Die wichtigsten Wirtschaftszweige der Provinz sind Landwirtschaft, Handel, Schifffahrt und Schiffsbau.Im Ackerbau dominieren Roggen, Hafer, Weizen und Kartoffeln, die vornehmlich in der fruchtbaren Küstenebene südlich des Pregel angebaut werden. Garten- und Obstbau wird im Binnenland sowie im Memeltal betrieben. Flachsbau ist vornehmlich im Ermland von Bedeutung. Forstwirtschaft ist im südlichen Teil der Provinz bedeutend. Nach der Viehzählung von 1904 gibt es in der Provinz Ostpreußen 454.935 Pferde, 1.123.396 Rinder, 508.204 Schafe, 996.632 Schweine und 39.073 Ziegen. Die Pferdezucht mit dem Hauptgestüt zu Trakehnen und den Landgestüten zu Rastenburg, Braunsberg, Insterburg und Gudwallen bei Darkehmen ist von großer Bedeutung. Fischerei wird besonders auf Störe (Kaviar von Pillau), Lachse und Neunaugen betrieben. Wichtige Bodenschätze Ostpreußens sind Bernstein und Torf. Zudem gibt es Tone, Kalk, etwas Raseneisenerz und einige Braunkohlenlager.
Die Industrie ist nur in Königsberg, Memel, Tilsit und Insterburg von Bedeutung, wo neben Schifffahrt und Schiffsbau auch nicht unbedeutende Eisenwerke bestehen. Ferner gibt es in der Provinz zahlreiche Sägemühlen (bei Memel), mehrere große Papierfabriken, Glashütten, Bierbrauereien und Branntweinbrennereien. Auf dem Lande wird häufig im Nebenerwerb Leineweberei betrieben. Allein im Jahre 1846 sind 96.135 Webstühle in Betrieb. Im Jahre 1904 zählt die Reederei der Provinz 41 Seeschiffe (darunter 38 Dampfer) mit 11.678NRT. Die wichtigsten Handelshäfen sind Memel, Königsberg und Pillau. Die erste Chaussee Ostpreußens wird von 1818 bis 1827 zwischen Königsberg und Elbing gebaut, danach 1830/31 die Chaussee Königsberg-Tilsit, die Anschluss an das russische Straßennetz erhält.
1852 erhält die Provinz Ostpreußen mit der Anbindung Braunsbergs an die westpreußischen Städte Elbing und Marienburg die erste Eisenbahnstrecke. 1853 wird die Strecke von Braunsberg bis Königsberg verlängert, und 1857 über Danzig der Anschluss an die preußische Ostbahn erreicht. 1903 umfasst das Eisenbahnnetz 232km vollspurige Bahnen. Schiffbare Wasserstraßen sind Memel, Deime, Pregel sowie die Masurischen Wasserstraßen. An Kanälen kommen Großer Friedrichsgraben und Seckenburger Kanal, König-Wilhelm-Kanal sowie Königsberger Seekanal hinzu.
Die 1544 von Albrecht von Brandenburg-Ansbach (1490-1568) gegründete Universität "Albertina" in Königsberg dient als akademische Ausbildungsstätte für Ost- und Westpreußen. Von 1740 bis 1748 studierte Immanuel Kant (1724-1804) an der Albertina, die heute seinen Namen trägt, und von 1770 bis 1796 lehrte er an der Universität. 1786 und 1788 war Kant auch Rektor der Albertina. In Braunsberg gibt es eine katholische Akademie mit theologischer und philosophischer Fakultät. Im Jahre 1905 bestehen an weiteren Bildungseinrichtungen 16 Gymnasien, drei Realgymnasien, eine Oberrealschule, sieben Realschulen, zwei Landwirtschaftsschulen und elf Schullehrerseminare. In der Zeit der Romantik der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besteht ein besonderes Interesse am Mittelalter und in Ostpreußen vornehmlich an der Geschichte des Deutschen Ordens. Der Leiter des Königsberger Staatsarchivs, Johannes Voigt (1786-1863), veröffentlicht von 1827 bis 1839 die "Geschichte Preußens von den ältesten Zeiten bis zum Untergang der Herrschaft des Deutschen Ordens 1525" in neun Bänden. Zahlreiche weitere Arbeiten schließen sich an, wie die "Akten der Ständetage Preußens unter der Herrschaft des Deutschen Ordens" und das "Preußische Urkundenbuch".
Zudem entstehen zahlreiche landesgeschichtliche Vereine, die eigene Zeitschriften herausgeben. 1879 gründen deutsche Intellektuelle in Tilsit die "Litauische Literarische Gesellschaft", die sich auf wissenschaftlicher Ebene dem Erhalt der litauischen Tradition und Sprache widmet.
Seit 1843 besteht eine Kunstakademie in Königsberg, an der 1876 bis 1880 der gebürtige Ostpreuße Lovis Corinth (1858-1925) studiert, bevor er sich in München dem Impressionismus zuwendet.
Gemäß den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages vom 18. Juni 1919 tritt der Regierungsbezirk Allenstein einen Teil des Kreises Neidenburg an Polen ab. Der Landesteil nördlich von Memel und Ruß wird als Memelgebiet dem Völkerbund unterstellt. 1923 geht das Memelgebiet an Litauen und erhält dort den Status eines autonomen Gebiets unter litauischer Aufsicht. Nach der Volksabstimmung vom 11. Juli 1920 verbleibt der Regierungsbezirk Allenstein zwar bei Preußen, aber die Grenzorte Groschlen, Klein Nappern und Klein Lobenstein gehen an Polen. Nach der Volksabstimmung vom 12. August 1920 in Westpreußen verbleibt der Regierungsbezirk Marienwerder beim Deutschen Reich und wird 1922 als Regierungsbezirk Westpreußen in die Provinz Ostpreußen eingegliedert. Nach Abtretung des Memelgebiets durch Litauen 1939 wird es in den Regierungsbezirk Gumbinnen integriert.
1945 wird der nördliche Teil Ostpreußens unter die Verwaltung der Sowjetunion, der südliche Teil unter die Verwaltung Polens gestellt. Der erste gesamtdeutsche Bundestag gibt am 14. November 1990 endgültig alle Ansprüche auf die ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reichs auf.
1981 wird im Westflügel des Ellinger Deutschordensschlosses in Bayern das "Kulturzentrum Ostpreußen" eingerichtet, das unterstützt vom Bund und vom Freistaat Bayern einen Beitrag zur Bewahrung und Pflege des ostpreußischen Kulturerbes leisten will. 1992 erhält in Lüneburg die "Ostpreußische Kulturstiftung" ihren Sitz, der auch das 1987 eingerichtete Ostpreußische Landesmuseum unterstellt wird. Im Jahre 2005 wird die ehemalige Universität Albertina in Königsberg in "Immanuel-Kant-Universität" umbenannt. 1971 entsteht die "Deutsch-Litauische Literarische Gesellschaft e.V." mit Sitz in Greifswald als Fortsetzung der in Tilsit gegründeten "Litauischen Literarischen Gesellschaft".
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